Schärfe


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Schärfe ist kein Geschmack

Als scharf bezeichnen wir bestimmte Empfindungen, die beim Verzehr von Chilis, Pfeffer, Senf, Meerrettich und anderen Lebensmitteln auftreten. Man spricht zwar manchmal auch von scharfem Geschmack, da wir die Empfindung im Mund wahrnehmen, es geht aber dabei nicht um eine Geschmacksempfindung denn die Geschmackspapillen sind bei der Empfindung von scharf nicht beteiligt. Die englische Bezeichnung hot für scharf trifft die Wahrheit eher, denn es sind Zellen beteiligt, die sonst einen Schmerzreiz weitergeben, wie er durch Hitze auftreten kann.

Während die Schärfe beispielsweise von Chili auch im Augenwinkel oder an anderen empfindlichen Hautpartien empfunden werden kann oder auch bei Rheumapflastern therapeutisch genutzt werden kann, ist es nicht möglich, eine Geschmacksempfindung wie süß, umami usw. an anderer Stelle als im Mund festzustellen.

An Schmerzempfindungen kann sich der Körper bekanntlich gewöhnen, daher ist klar, dass es auch eine Gewöhnung an Schärfe gibt. Wird also scharf gewürzt und bleibt man dabei unter einer individuell verschiedenen Schwelle, so stört die Schärfe nicht die parallele Wahrnehmung von Geschmacksnuancen und Aromen. Durch die vermehrte Durchblutung der betroffenen Regionen im Mund kann es sogar zu einer verstärkten Wahrnehmung der Grundgeschmacksrichtungen kommen. Nur wenn man seine Schwelle überschreitet, beeinträchtigt dies die anderen Wahrnehmungen.

Die Unabhängigkeit der beschriebenen Sinneswahrnehmungen hat ihren Grund in den beteiligten Nerven. Geschmack und Geruchssinn werden von eigenen spezifischen Zellen aufgenommen und auch spezifisch weitergeleitet. Im Fall der Schärfe geht es um den Trigeminus-Nerv, der sonst für mechanische Reize im Gesichtsbereich zuständig ist. Ihm sind keine spezifischen Sinneszellen zuzuordnen, die Aufnahme von Reizen findet in freien Nervenenden statt. Man geht davon aus, dass diese empfindlich sind für Qualitäten wie brennend, scharf, adstringierend, prickelnd, stechend, kühlend. U. a. in den Papillen der Zungenoberfläche finden sich dreimal mehr Verbindungen zum Nervus Trigeminus als zu Geschmacksnerven. Typisch für die Wirkungsweise ist noch das Andauern der Empfindung über die Stimulation hinaus (sensorische Perseveration) sowie die Möglichkeit, durch Konditionierung auf die Dauer einen unangenehmen Eindruck zu einem angenehmen werden zu lassen. So führt Schärfe zu Speichelproduktion und zu Endorphinausschüttung. Endorphine sind körpereigene Stoffe, die zu glücksähnlichen Zuständen führen können und bei besonderen Belastungen auftreten, so bei hohen Ausdauerleistungen wie beim Läufer-High oder eben bei Schmerzuständen nahe der Erträglichkeitsgrenze.

Von den verschiedenen scharfen Lebensmitteln und Gewürzen kann Chili, Peperoni usw. bei weitem die intensivste Schärfe-Empfindung vermitteln, im Weiteren beschränken wir uns darauf, diesen Fall näher zu erläutern.


Was ist scharf an Chili?

Verantwortlich für die Schärfe ist eine Gruppe von Stoffen, die Capsaicinoide. Der wichtigste Stoff für das empfinden von Schärfe ist jedoch Capsaicin. Es ist nach der botanischen Gattung Capsicum (gehört zur Familie der Solanaceae), unter dem die Chilis fallen benannt. Capsaicin ist farblos, als Pulver weiß und völlig geschmacklos. Es ist in Alkohol und in flüssigen Fetten löslich, in Wasser dagegen nicht. Dies erklärt auch, dass nach ausgiebigem Genuß von Chili-scharfen Speisen ein erneutes Brennen festzustellen ist, wenn die festen Reste den Körper wieder verlassen. Dagegen ist beim Wasserlassen kein Brennen festzustellen. Ebenfalls ist klar, dass es nicht möglich ist, zu scharfe Speisen schnell durch Spülen des Mundes mit Wasser, Säften oder Bier zu neutralisieren. Als Hausmittel gelten Milchprodukte oder Schokolade. Der Genuss von fetthaltigen Speisen vor dem Verzehr von scharfen Lebensmitteln soll dem Schärfeempfinden zumindest teilweise vorbeugend entgegenwirken.

In den Scheidewänden innerhalb einer Chili-Frucht sitzt der größte Anteil an Schärfe, im äußeren Fruchtfleisch und auch in den Kernen entgegen landläufiger Meinung viel weniger.


Scoville-Einheit - Schärfe kann man messen

Unterhalb der Grenze des erträglich scharfen Essens kann von jedem entschieden werden, welche von zwei Proben schärfer schmeckt. Wenn ein Vergleich von je zweien möglich ist, können mehrere Proben auf einer Skala angeordnet werden. Damit ist der Gedanke einer Messskala nicht allzu weit, es bedarf dazu nur noch einer Einheit. Die erste Idee dazu hatte der amerikanische Pharmakologe Wilbur Lincoln Scoville im Jahre 1912. Die Scoville-Einheiten sind folgendermaßen definiert: Ein Püree von Chili wird mit Wasser verdünnt, bis der Schärfe-Eindruck gerade verschwindet. Ist die Verdünnung dann z.B. 1:100, so spricht man von 100 Scoville-Einheiten. Beispiele: Süß-scharfe asiatische Saucen weisen etwa 100 – 200 Scoville auf, Tabasco-Sauce etwa 2500. Der ungeübte Europäer wird alles über etwa 1000 Scoville-Einheiten in reiner Form ungenießbar finden.

Diese Festlegung der Scoville-Einheiten hat eine Reihe von systematischen Fehlern. Ob beim Verdünnen noch Schärfe fühlbar ist, wird von der Gewöhnung der Testperson abhängen. Außerdem können Nebenbedingungen den Test deutlich beeinflussen. Wer gerade eine fette Speise zu sich genommen hat, empfindet Schärfe viel weniger deutlich. Das ursprünglich vorgesehene Verdünnen mit Wasser ist nicht sinnvoll, wenn man bedenkt, dass Capsaicin nicht wasserlöslich ist. Es wird also keine gleichmäßige Verteilung der scharfen Anteile erreichbar sein.

Die Scoville-Einheiten sind allerdings präzisierbar. Man geht davon aus, dass es letztlich darum geht, den Capsaicin-Gehalt einer Zubereitung zu messen. Dieser Gehalt lässt sich heute mit Hilfe eines Verfahrens namens HPLC, einer Chromatographie in der flüssigen Phase bestimmen. Man hat dann festgelegt, dass ein Milligramm Capsaicin pro Kilogramm Lebensmittel 15 Scoville-Einheiten entspricht, das gibt in etwa auch die Werte nach dem alten Verfahren wieder. D.h. verdünnt man eine Zubereitung mit 1 mg/kg um den Faktor 15, so verschwindet für den Durchschnittstester der Schärfeeindruck. (Einige Quellen geben hier anstelle von 15 den Faktor 16 an.)


Wie scharf ist nun reines Capsaicin?

Rein heißt, dass in 1 kg Probe 1 kg Capsaicin ist, das sind 1.000.000 mg und damit, je nach Quelle zwischen 15.000.000 und 16.000.000 Scoville.

Verschiedene Chili-Sorten werden in der Literatur mit Werten zwischen weniger als 100 und bis über 500.000 Scoville-Einheiten angegeben. Dabei schwanken die Angaben auch für ein und dieselbe Sorte Chili gelegentlich stark. Da Chilis ein Naturprodukt sind, hängt die Zusammensetzung der Inhaltstoffe von Umwelteinflüssen, klimatischen gegebenheiten, Bodenbeschaffenheit und der individuellen Pflanze ab. So sind Schwankungen um den Faktor 2 normal und machen das Probieren von Chili-Sorten "spannend".

Neben den Scoville-Einheiten gibt es noch eine 11-teilige Abstufung der Schärfe von Chili, dem so genannten Schärfegrad von 0 bis 10. Wegen der subjektiv und ungenau beschriebenen Grenzen zwischen den Stufen und der individuell sicher unterschiedlichen Auffassungen davon, was beispielsweise mittelscharf bedeutet, ist diese Einteilung allerdings weitgehend unbrauchbar.



Quellen


  • Der Brockhaus Ernährung: Gesund essen - bewusst leben. Brockhaus, 2011 » Der Brockhaus Ernährung: Gesund essen - bewusst leben
  • Reinhard Matissek, Werner Baltes: Lebensmittelchemie. Springer Spektrum, 2015 » Lebensmittelchemie
  • Der große Larousse Gastronomique. Christian, 2012 » Der große Larousse Gastronomique
  • Hans-Joachim Rose: Die Küchenbibel: Enzyklopädie der Kulinaristik. Tre Torri Verlag, 2007 » Die Küchenbibel: Enzyklopädie der Kulinaristik
  • Prof. Dr. Waldemar Ternes, Alfred Täufel: Lebensmittel-Lexikon. Behr's Verlag, 2005 » Lebensmittel-Lexikon